Der Balanceakt: zwischen Nähe und Distanz

Japanese monkey, fotolia.com – ein herzerweichendes Bildnis von Nicht-Verstandensein, wie ich finde…

Bei einem Vortrag oder einer Präsentation geht es auch immer um Sympathie und Antipathie. Ist uns eine Rednerin oder ein Redner sympathisch, hören wir aufmerksam zu. Im gegenteiligen Fall denken wir darüber nach, wie wir den Raum möglichst schnell wieder verlassen können.

Nun kann man nicht jedem oder jeder sympathisch sein – das ist unmöglich. Aber dennoch gibt es ein paar Grundregeln, die viel mit dem richtigen Maß an Nähe und Distanz zu tun haben:

  • Ich würde meine Zuhörenden niemals ungefragt duzen – es sei denn, die Umstände sind so, dass das völlig akzeptiert ist.
  • Vertraulichkeiten sind fehl am Platz – man weiß nie, wem man auf den Schlips tritt.
  • Es ist gut, die Zuhörenden genau im Blick zu behalten, um Stimmungen und Schwingungen aufzunehmen.
  • Der heikelste Punkt: der Sinn für Humor. Es gibt eben nicht einen Sinn für Humor, sondern viele, und was dem einen sehr komisch vorkommt, ist für den anderen ein Affront. Hier ist absolutes Fingerspitzengefühl gefragt.

Ein Beispiel aus dem Alltag, bei dem es allerdings nicht um eine Präsentation ging, sondern um das unglaublich schnelle und starke Wirken von Sympathie und Antipathie durch Nähe und Distanz. Ich betrat neulich meinem Fitness Club zu ziemlich später Stunde und hatte das Gefühl, dass überhaupt niemand mehr da war. Das wunderte mich, denn normalerweise ist das Studio an einem Montagabend um 21 Uhr noch gut besetzt. Eine junge Frau in der Kluft des Fitnessclubs, die ich dort noch nie gesehen hatte, trat auf mich zu und fragte mich, was los sei. Ich erwiderte „gar nichts.“ Daraufhin ihre Antwort: „Na, Sie gucken so komisch.“ Ich – total auf Abwehr: „Dann gucke ich eben so.“ Sie: „Alles gut?“. Ich (innerlich total aufgebracht wegen dieses fast blödesten aller Sprüche): „Ich weiß nicht, ob alles gut ist.“ Innerlich lief bei mir in Sekundenschnelle ein Film ab: Wie soll denn in der heutigen Zeit alles gut sein? Kriege, Flüchtlingskrise, Radikalisierungen, mangelnde Solidarität – wie kann ein vernünftig denkender Mensch noch fragen „alles gut?“

Naja, die ganze Zeit während meines Trainings vermieden wir es, uns anzublicken. Es war definitiv eine Spannung da.

Ich habe mich danach gefragt, warum mich diese Frau so auf die Palme brachte und kam zu dem Schluss – es war das gestörte Nähe/Distanz Verhältnis. Ich hatte sie noch nie gesehen und sie wollte gleich bei der Begegnung wissen, warum ich auf eine bestimmte Art und Weise in den Raum blickte. Geht für mich überhaupt nicht. Dafür brauche ich erstmal eine gewisse Beziehungsebene, die für mich signalisiert: Ich kann dem Menschen sagen, was mir auffällt. Es kamen noch ein paar Details dazu: sehr laute Stimme, stark geschminkt, sehr lange, lila Fingernägel – alles Dinge, die ich persönlich nicht so schön finde, aber das war zweitrangig.

Also: Nähe ist schön – Distanz ist aber auch sehr wichtig. Es gilt immer, erstmal auszutarieren, welches Maß an Nähe die Zuhörenden vertragen können.